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Das Modell abbauender Kräfte im Menschen Freud und Steiner versus Darwin.
Dualistische Kraftvorstellungen, die Schöpfung des Geistigen und der Transport von Information aus dem Körperinneren in die Außenwelt
von Rudi Zimmerman
Die Modelle Freuds und Steiners
Es geht hier nicht um die Frage des Dualismus oder Monismus von Materie und Geist, sondern um den Dualismus von Kräften und die Entstehung des Geistigen. Die dualistische Auffassung von Kräften der nichtlebenden Materie und Trieben der lebenden Materie durchziehen das wissenschaftliche Denken. Newton gründet die Bewegungsgesetze von Massekörpern mit Hilfe der beiden Kräfte "Gravitation" (Anziehungskraft) und "Trägheit" (jeder Körper setzt seine lineare Bewegung ewig unverändert fort, oder: er ändert nur durch Einwirkung äußerer Kräfte seine Bewegungsrichtung oder seine Geschwindigkeit). Diese aus der Physik stammende Gedanke setzt sich bei der Erklärung von Bewegungen des Menschen fort. So sah Freud zunächst die Ichtriebe (Selbsterhaltung) und Sexualtriebe als die beiden für das Verhalten des Menschen maßgeblichen inneren Kräfte an, ab 1920 (Jenseits des Lustprinzips1) die beiden Kraftgruppen der Lebens- und Todestriebe (Libido und Thanatos). "Das Leblose war früher da als das Lebende." und: "Das Ziel allen Lebens ist der Tod.", "Die damals entstandene Spannung in dem vorhin unbelebten Stoff trachtet danach, sich abzugleichen; es war der erste Trieb gegeben, der, zum Leblosen zurückzukehren." (Freud 1920, 248). Freund lehnt in diesem Aufsatz definitiv den Gedanken an einen Trieb ab, der den Menschen zur Höherentwickung zu einem Übermenschen dränge, den man Drang zur Vervollkommnung nennen könnte, und erklärt das Verhalten des Individuums nun mittels einer Dichotomie von Sexualtrieben, die Erneuerung des Lebens anstreben und dem Todestrieb, der nach dem früheren leblosen Zustand der Materie hinstrebe. (Freud 1920, 255)
Etwa zur gleichen Zeit entwickelte Rudolf Steiner ebenfalls ein Modell zur Erklärung menschlichen Verhaltens, das aufbauende und abbauende Kräfte in lebender Materie zugrunde legt, um Lebensphänomene verständlich zu machen. 1924 erläuterte er dieses Modell in seinen Arnheimer Vorträgen2. Steiner postuliert einerseits Wachstumskräfte oder Aufbaukräfte und andererseits Kräfte des Abbaus, die während des Erwachsenenalters im Gleichgewicht stehen. Interessanter Weise geht Steiner tiefer als Freud und erklärt im Gegensatz zu Freud auch die Entstehung des Geistes. Hier kommt er zu dem Schluss, dass das Geistige aus dem Abbau entstehe (Steiner 1924, 173). Indem sich das Physische (konkret die Nervenzelle) auflöse, bilde sich das Geistig-Seelische. Vergleichbar mit dem Ich des Freudschen Modells der psychischen Struktur spricht Steiner von der Ich-Organisation, die den Menschen von allen anderen Naturwesen abhebe, und meint: "Die Ich-Organisation ist im wesentlichen immer abbauend." (Steiner 1924, 173). Er ortet diese "Organisation" quasi in jedem Organ. "… in jedem einzelnen Organ" sieht er "… einen Aufbau, wodurch das Organ dem Wachstum der fortschreitenden Entwickelung dient, und einen Abbau, wodurch es der rückschreitenden physischen Entwickelung dient, aber damit gerade dem Platzgreifen des Geistig-Seelischen im Menschen." (Steiner 1924, 173)
Diese drei Modelle (Newton, Freud, Steiner) stehen lediglich stellvertretend für viele andere Modelle, die mit Hilfe zweier Kräfte Veränderung (Bewegung) und Entwicklung erklären. Auf das Modell von Newton, das sich auf physikalische und messbare Materieobjekte, also auf nichtlebende Materie, bezieht, möchte ich nicht näher eingehen, es erklärt das Verhalten von Materie in bestimmten Grenzen zufriedenstellend und scheint mir Vorbild zu sein für die Modelle von Freud und Steiner, die das Verhalten lebender Systeme erklären wollen.
Ein ganz anderes Modell hat nun Darwin zum Verständnis von Entwicklungsvorgängen lebender Materie oder lebender Systeme. Da nichtlebende Materiemassen und lebende Materiemassen aus kleineren Bestandteilen zusammengesetzt sind, nämlich tote Masse aus Atomen und Molekülen, und lebende Masse aus Zellen und Organen, spreche ich hier von nichtlebenden und lebenden Systemen.
Während Freud und Steiner sich mit Individuen beschäftigen, ist das Objekt Darwins die Art, also sozusagen ein lebendes System höherer Ordnung, in dem das Individuum seinerseits die kleinste Einheit ist. So bilden das Atom, die Zelle, das Individuum und die Art jeweils ein System unterschiedlicher Ordnungshöhe, für das die Untersysteme selbstständig sich bewegende oder handelnde Einheiten sind, deren Gesamtverhalten jedoch eingebunden ist in das Bewegen oder Verhalten des übergeordneten Systems. Koestler nennt derartige Einheiten Holons3. Das aber nur nebenbei zur Einordnung dessen, womit ich mich hier beschäftigen möchte.
Darwins Theorie der Entwicklung von Arten
Mir kommt es darauf an, einmal den wesentlichen Unterschied der Entwicklungsmodelle aufzuzeigen. Während nämlich Freud und Steiner aufbauende und abbauende Kräfte in lebenden Systemen orten und die Entwicklung des Individuums mit Hilfe dieser beiden Kräfte erklären, verzichtet Darwin nämlich völlig auf ein abbauendes Prinzip oder einen "Todestrieb" (Freud). Für Darwin, dessen Theorie allerdings ebenfalls dualistisch ist, ist es auf der einen Seite das Vermehrungsverhalten der Individuen und auf der anderen Seite die Begrenzung des Nahrungsangebots und andere Außenkräfte, die er zusammenfassend als "Selektion" bezeichnet. Dem Individuum wohnen in diesem Modell keine selbstzerstörerischen (Freunds Thanatos) oder abbauenden Kräfte (Steiner) inne, sondern der Tod der Individuen ist Folge einer Auslese. Wenn wir uns einmal auf tierische lebende Systeme beschränken, zu denen der Mensch systematisch zählt, so ist deren Tod Folge davon, dass sie von anderen Tieren gefressen werden, weil sie für deren Selbsterhaltung eine Funktion als Nahrung haben, oder sie verhungern, weil sie selbst nicht genügend pflanzliche oder tierische Nahrung finden oder sie werden Opfer klimatischer Veränderungen oder irgendwelcher Naturkatastrophen. Es sind hier also zahlreiche Außenfaktoren, die den Tod der lebenen Systeme bewirken und keine inneren Kräfte. Darwin nennt die Wirkung dieser äußeren Kräfte zusammenfassend "Selektion" und meint, wenn er diesen Begriff verwendet, die positive Auslese (positive Selektion) und nicht die Negativauslese. Diese Selektion führt im Darwinschen Modell dazu, dass die beser angepassten Individuen überleben und ihre vererbbaren Eigenschaften weitergeben, während die Individuen, die weniger "fit" sind, ausselektiert weden und ihre Eigenschaften nicht vererben. Folge dieses Kräftespiels zwischen möglichst starker Vermehrung zum Zweck des Wachstums der Art und der Gegenkräfte der Selektion ist zunächst die Erhaltung der Art in ihrer Größe, also der Menge der Individuen, aus der diese Art besteht. Es stellt sich also zunächst modellhaft ein Gleichgewicht der Arten ein. Verändert nun eine Art ihr Verhalten, erlernt beispielsweise schnellere Bewegung und frisst mehr Beutetiere, reduziert sie damit ihr eigenes Nahrungsangebot und stürbe sogar aus, wenn sie zu viel fräße. Tatsächlich frisst sie jedoch zunächst die langsameren Beutetieren, so dass dieses Fressverhalten zu einer Selektion schnellerer Beutetiere führt und diese Beuteart eine Veränderung ihres Genpools erfährt, sich also durch die Negativselektion, die von den Fresstieren ausgeübt wird, "anpasst" und bestimmte Fähigkeiten verbessert (schneller wegrennt). Ähnlich ist es mit der Außenwirkung physikalischer Kräfte, die beispielsweise bei längerer Abkühlung (Eiszeiten) bewirkt, dass Individuen, die Kälte nicht vertragen, ausgesondert werden und sich aus den überlebenden Individuen, die sich nun besser vermehren können, eine besser angepasste oder sogar neue Art entwickelt. In diesem Modell kann also auf eine innere, zum Tod des Individuums führende, Kraft völlig verzichtet werden. Nach der Regel von Wilhelm von Ockham (1285–1347), sollte wissenschaftstheoretisch immer das Erklärungsmodell bevorzugt werden, das mit weniger Grundannahmen auskommt. Deshalb möchte ich nun dieses Darwinsche Entwicklungsmodell, das für Arten (lebende Systeme höherer Ordnung) entwickelt wurde, auch auf Individuen anzuwenden.
Die Anwedung des Darwinschen Entwicklungsmodells auf das Individuum
Im Individuum sehen wir bereits bei seiner Entstehung durch die Befruchtung der Eizelle durch ein Spermium das Prinzip der Auswahl, der Selektion. Ein große Menge Spermien wetteifert darum, welches Spermium in die Eizelle eindringen kann. Nur eines dieser vielen Spermien kann sich mit der Eizelle vereinigen, die anderen sterben. Bereits an dieser Stelle arbeitet die Natur mit dem Mittel der Überproduktion und der Selektion, also mit den von Darwin erkannten Entwicklungsprinzipien. Auch bei der weiteren Entwicklung der befruchteten Eizelle, also dem genetisch fertigen Individuum, sehen wir eine Überproduktion von Zellen, von denen immer nur ein geriger Teil überlebt, der dann ein Organ bildet, die überschüssigen Zellen sterben ab. Besonders bei der Bildung des Gehirns ist dieses Prinzip wieder sichtbar, hier setzt es sich in den ersten nachgeburtlichen Jahren fort: die Hirnzellen vermehren sich rasant, aber es sterben bereits viele dieser Zellen, während andere sich weiterentwickeln und Synapsen bilden. Jedes Organ des Individuums zeigt eine Regenerationsfähigkeit, diese ist jedoch unterschiedlich ausgeprägt, bei der Leber sehr stark, bei anderen Organen schwächer, selbst der Knochen ist kein unveränderliches materielles Gebilde, sondern ein lebendes Organ, das ständig mit Aufbau und “Abbau” (Eliminierung überflüssig gewordener Zellen) beschäftigt ist. Die Frage ist nur, ob für den “Abbau” eine besondere Kraftwirkung postuliert werden muss, oder ob der Abbau beispielsweise die Folge einer unzureichenden Energiezufuhr der Zelle ist, also ein Absterben aufgrund äußerer Einwirkungen, kurz gesagt: ein passiver Prozess, der nicht auf das Verhalten der Zelle zurückzuführen ist, sondern auf das Verhalten anderer Zellen, die besser wachsen und damit schwächere Zellen verdrängen, indem sie ihnen die Nahrung entziehen. Die einzelne Zelle ist der lebenden Kleinstbaustein des Individuums, und sie führt in gewissem Sinn ein Eigenleben, muss sich um ihre Ernährung kümmern. Wir wissen, dass von mangelversorgten Muskelzellen ein Reiz ausgeht, der kleinste Blutgefäße zum Wachstum anregt, so dass sich neue Kapillaren bilden. Die Bildung des Herz-Kreislaufsystems wird somit vom Bedarf der Zellen an Sauerstoff und anderen Substanzen (z.B. Glucose) gesteuert und ihrem Bedarf an Abtransport von Abfallstoffen (Kohlendioxid und anderem), die aus dem Körper über vor allem über die Lunge, die Nieren und die Haut ausgeschieden werden müssen. Durch Einwirkung von außen, über die Zufuhr von fester und flüssiger Nahrung über den Verdauungstrakt und die Zuführung gasförmige Energieträger über die Lungen, kommt es im Lauf des Lebens naturgesetzlich zu einem ständigen Anstieg an Fremdsubstanzen, die der lebende Körper nicht benötigt aber auch nicht auscheiden kann, so dass der lebende Körperanteil des Menschen ständig geschwächt wird. Diese Schwächung durch Außeneinwirkung kann als Erklärung für den Alterungsprozess herangezogen werden, so dass die zusätzliche Annhame innerer abbauender Kräfte wissenschaftstheoretisch überflüssig ist.
Die Philosophie lebender Systeme (PhilS) verzichtet bei der Erklärung menschlichen Verhaltens daher völlig auf die Annahme aubbauender Kräfte, auf die Darwin bei seiner Evolutionstheorie ebenfalls verzichtet hat.
Sie postuliert allerdings ebenfalls ein dualistisches Kräftemodell. Einerseits hat jedes lebende System eine Tendenz zur Selbsterhaltung, zur Aufrechterhaltung einer inneren Homöostase, andererseits eine ständig wirkende Vergrößerungskraft, die hier so genannte Selbstentfaltung (oder Wachstumskraft). Diese Wachstumskraft wird im übrigen auch von Rudolf Steiner postuliert und auch von Freud, der sie "Libido" nennt, wobei es sich hier um eine Kraft handelt, die auf eine Vereingung zweier gegengeschlechtlicher Individuen gerichtet ist, also auf die Vermehrung der Individuen innerhalb einer Art, was Darwin als Übervermehrung bezeichnet, da sie nicht von sich aus auf eine Reproduktion der Art gerichtet ist, sondern auf eine ständige Vergrößerung, die nur durch das Wirken der selektierenden Außenkräfte im Resultat zur Selbsterhaltung der Art führt. In diesem Punkt sind alle Erklärungsmodelle sozusagen einig darin, dass in lebenden Systemen eine Kraft wirkt, die nach Vergrößerung drängt. Es stellt sich natürlich sofort die Frage, in welchen Phänomenen sich beim erwachsenen Menschen diese Kraft beobachten lässt, denn offensicht wächst der erwachsene Mensch nicht mehr. Eben diese Beobachtung führt ja Steiner, Freud und andere zu der Annahme abbauender innerer Kräfte des lebenden Systems. Bevor ich diesen offensichtlichen Widerspruch kläre, möchte ich die Selbsterhaltungskräfte des Lebens genauer beschreiben.
Die Information als Kraftursache
Die Selbsterhaltung, also die Aufrechterhaltung eines zum Leben erforderlichen inneren Milieus eines lebenden Systems der Ordnungshöhe Individuum, läst sich am besten anhand des kybernetischen Regelkreismodells erklären. Im Inneren derartiger lebender Systeme muss ein energetisches Gleichgewicht herrschen. Diese Systeme verbrauchen für ihren Grundumsatz und für ihren Leistungsumsatz Energie, und dieser Energieaufwand muss über die ständige Zufuhr von Energie über einen bestimmten Zeitraum, der von den Möglichkeiten der Energiespeicherung abhängt, mindestens kompensiert werden. Die Biologie bezeichnet diesen Vorgang als Stoffwechsel. Die ständig erforderliche Energieproduktion der kleinsten Einheit des lebenden Systems, nämlich der Zelle, stellt die Arbeitsbelastung der Zelle dar, die sie nur leisten kann, wenn ihr die aufgewendete Energie durch das Gesamtsystem, das Individuum, immer wieder zugeführt wird. Hierzu verfügt das Gesamtsystem über verschiedene Organsysteme (Verdauungs- Atmungs- und Kreislaufsystem), das die Zufuhr erforderlicher Energieträger und den Abtransport des Abfalls sichert. Zur Steuerung dieser Systeme verfügt das Gesamtsystem, zum Beispiel der Mensch, über Innenrezeptoren, die verschiedene Istwerte im Blut messen und dem Hirn mitteilen und über Außenrezeptoren, die Sinnesorgane, die Veränderungen der Außenwelt messen und diese ebenso dem Gehirn mitteilen. Darüber hinaus verfügt das Hirn über Informationen zu den Sollwerten und vergleicht die ihm von Innenrezeptoren mitgeteilten Istwerte mit diesen Sollwerten. Weichen die Istwerte von den Sollwerten ab, so setzt diese Differenz Aktvitäten des Individuums in Gang, die im Ergebnis zur Aufrechterhaltung der Homöostase führen. Da jedoch ständig wieder Energie verbraucht wird, ist dies ein ständiger Prozess. Erniedrigt sich also der Sauerstoff-Istwert im Vergleich zum Sollwert, der für das Leben erforderlich ist, wird eine Zwerchfellkontraktion in Gang gesetzt, die wieder Sauerstoff zuführt. Sinkt der Istwert für Wasserstoff (der dem Zucker entnommen wird), führt die Differenz zwischen Istwert und Sollwert zu unterschiedlich starken Hungergefühlen und setzt Nahrungsaufnahmeaktivitäten in Gang. Die Einzelheiten werden ständig vertiefend erforscht und sind hier unwichtig.
Entscheidend ist hier die Informationstheoretische Betrachtung.
Der Begriff der "Information", der hier zugrunde gelegt wird, wurde am einfachsten von Bateson4 definiert: Information ist "irgendein Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied ausmacht, …". (Bateson 1985, 488)
Das Interessante, auf das hier hingewiesen werden muss, besteht darin, dass die Information nichts Materielles ist. Sie ist immateriell und kann auch als Idee oder etwas Geistiges bezeichnet werden. "Ein … Unterschied, …, ist eine elementare Idee." (Bateson 1985, 408)
Etwas Immaterielles, nämlich die Feststellung einer Differenz (=Information), setzt das lebende System mit dem Ziel in Bewegung, diese Differenz auszugleichen, also die Information zu eliminieren, den Null-Informationszustand zu erreichen. Dies ist das Prinzip des "Yin" oder der "Selbsterhaltung" in Bezug auf das Verhalten lebender Systeme.
Diese Prinzip findet sich auch in der Erklärung von Bewegungen materieller nichtlebender Systeme (siehe Newton). Diesbezüglich ist jedoch ebenfalls der Begriff der Kraft aus meiner Sicht unangebracht und führt zur Verschleierung des Tatsächlichen. Besser verwendet man hier den Begriff der Spannung. Dieser findet auch in der Elektrizitätslehre Verwendung, zwischen einem positiv geladenen Objekt und einem negativ geladenen besteht eine Spannung, die Ursache davon ist, dass sich Elektronen (negativ geladene Teilchen) in eine bestimmte Richtung bewegen. Auch hier ist eine Differenz Ursache von Bewegung. Aus Sicht der Philosophie lebender Systeme ist im übrigen auch die "Gravitation" keine "Kraft", wie sie in der Physik oft genannt wird ("Gravitationskraft"), sondern eine Spannung, so dass ich den Begriff "Gravitationsspannung" vorschlagen möchte. Zwischen zwei Massen besteht besteht eine Gravitationsspannung, und die Massen haben die Tendenz, diese Spannung auszugleichen und sich auf kürzestem Weg aufeinander zu zu bewegen.
Das prinzipielle Modell, eine Information, also eine Differenz, als Auslöser für eine Bewegung anzusehen, findet sich also schon in der nichtlebenden Natur. Das Geistige, das hierin liegt, entsteht also nicht erst in lebenden Systemen. Die Differenz und das Bestreben, diese auszugleichen, ist als Anriebsmotor bereits im atomaren Bereich vorhanden, im Bereich lebender Systeme bereits in der Zelle. So ist es also nicht das Gehirn, dessen Existenz Voraussetzung für Geistiger ist, sondern das Gehirn ist lediglich ein Organ des Menschen, das in der Lage ist, derartige Informationen elektrochemisch zu speichern. Die Informationen an sich kann jedoch bereits die Zelle mittels eines genetischen Codes speichern.
Die tiefere Betrachtung der Ursache von selbsterhaltenden Aktivitäten führt also bereits zur Auffindung dessen, was als "Information" oder als "Geistiges" bezeichnet werden kann.
Die Entstehung des Geistigen
Wie ensteht aber nun dieses "Geistige" in lebenden Systemen der Größenordnung Individuum und wie entwickelt es sich weiter zum Geistigen des Menschen?
Diese Frage lässt sich am einfachsten durch ein Denkmodell klären:
Angenommen, die Erde hätte eine unbegrenzt große Oberfläche, konstante klimatische Bedingungen und wäre frei von Naturkatastrophen. Und weiterhin angenommen, auf diesem Planeten, dem System Erde, würde erstes Leben entstehen, irgendeine erste Zelle mit Teilungsfähigkeit. Würde diese Zelle sich im Lauf der Jahrmillionen zu Individuen und Arten weiterentwicklen und würde sich schließlich menschlicher Geist entwickeln, so wie derzeit vorgefunden?
Die Antwort ist: diese erste lebende Zelle wüde sich unendlich lange teilen und sich räumlich immer weiter auf dieser unendlich großen Erdoberfläche verbreiten. Es würde jedoch nie zu einer Veränderung kommen. Diese erste Zelle würde durch "Klonung", durch ungeschechtliche Teilung, lediglich immer mehr Nachkommen bilden, ohne dass er zu Mutationen, zur Bildung anderer Arten und zur Entstehung des Menschen und menschlichen Geistes kommen würde. Es wäre nämlich kein selektierender Faktor vorhanden, der eine Auswahl zwischen besser und schlechter angepassten Individuen treffen könnte. Es käme auch nie zu einer Konkurrenz der Zellen um Energie, also dem selektierenden Faktor zwischen einzelnen Individuen, die um Nahrung streiten. Begriffe wie "besser" und "schlechter" oder "Anpassung" gäbe es überhaupt nicht.
Ohne eine sich verändernde Außenwelt gäbe es keinen Fortschritt und keine Entwicklung. Evolution als solche hat also Selektion durch Außenfaktoren zur Voraussetzung. Daher kann man Evolution auch verallgemeinernd als das Ergebnis eines Zusammenwirkens zwischen dem Vermehrungstrieb lebender Systeme und den einschränkenden Kräften der Umwelt verstehen. Evolution wird so zum Ergebnis von Innenkräften, die nach Wachstum drängen - von mir aus "Libido" - und Außenkräften, die dieses Wachstum einschränken - von mir aus "Selektion". Das sind alles nur Begriffe, die etwas Tatsächliches beschreiben. "Übervermehrung" und "Selektion" (Darwin) beschreibt demnach ausreichend die Innenkräfte einen Lebenden Systems und die Außenkräfte seiner Umwelt, die im Ergebnis zur Entwicklung komplizierteter lebender Systeme und zur Verfeinerung des "Geistes", die wir beim Menschen antreffen, führen. So hat auch in der Entwicklung des ersten natürlichen Menschen zum heutigen Kulturmenschen immer die Interaktion zwischen dem Überlebensinteresse des Menschen und widrigen Umweltbedingungen dazu geführt, das seine geistigen Fähigkeiten sich weiterentwickelt haben, er Werkzeuge zur Verbesserung der Nahrungszufuhr (Faustkeil, Speer, Schusswaffen) erfunden hat, sich das Feuer zu nutze gemacht hat und Tierzucht, Ackerbau und Machinen erfunde hat, die seine Arbeit erleichtern bzw. das Ergebnis seiner Arbeit vervielfachen und immer mehr Menschen ernähren. Der Ausgangspunkt aller dieser Aktivitäten und der Entwicklung zum zivilisierten Menschen der Gegenwart sind jedoch diese Differenzen innerhalb des Systems Individums zwischen Sollwerten und Istwerten, die ausgeglichen werden müssen, wenn das System weiterleben soll. Diese Kraft, die zum Ausgleich einer Differenz, einer Spannung, aufgewendet wird, nennt die Philosophie lebender Systeme "Selbsterhaltung". Evolution hat also, so gesehen, ständig das Ziel, eine Information zu eliminieren. Wenn nämlich Sollwert und Istwert übereinstimmen, beträgt die Informationsmenge Null. Nur die Diffenrenz zwischen Soll- und Istwert beinhaltet eine Information, etwas Geistiges.
Derartige Information wird immer wieder neu erzeugt dadurch, dass die Innere Überlebenskraft des Individuums gegen begrenzende Außenweltkräfte stößt. Dies sind praktisch Änderungen der physikalischen Umwelt oder aber Fressfeinde oder aber Mangel an Nahrungsressourcen, die eine Komkurrenz innerhalb einer Art oder zwischen Arten bewirken, es sind also nichtlebende und lebende Systeme der Außenwelt. Letzlich aber - und das soll mein Denkmodell verdeutlichen -, ist es die Begrenztheit der Erde oder deren Energievorräte, die maßgeblich für die Entstehung und Weierentwicklung des Geistigen verantwortlich sind, und zwar im Zusammenwirken mit dieser Kraft der Selbsterhaltung lebender Systeme.
Das Hirn des Menschen ist als erstes ein Speicherorgan für dieses Geistige. Aber es entwickelt sich speziell beim Menschen auch zu einem Organ, dass Lösungsmöglichkeiten, Ideen, gedanklich vorweg erproben kann, so dass die Selektion durch Umweltfaktoren entfällt. Dies ist die Grundlage, auf der sich Naturwissenschaft entfaltet mit ihrer grundsetzlichen Vorgehensweise von Hypothesenbildung und deren Verifizierung/Falsifizierung durch den wissenschaftlichen Versuch, der die Ideen selektiert und die besseren von den schlechteren trennt. Dies ist lediglich die Fortsetung des von Darwin erkanntem Prinzips der Überproduktion von Nachkommen (hier Ideen) und Selektion der Natur.
Die Wirkung der Wachstumskraft (Selbstentfaltung)
Ich komme zurück zu der Kraft des Wachstums, über deren Vorhandensein Konsens zwischen Freud, Steiner und anderen Wissenschaftlern und Philosophen und der PhilS (=Philosophie lebender Systeme) besteht.
Während jedoch Freud und Steiner zum Verständnis des Zustands der Größenkonstanz des Erwachsenen eine gleichzeitig wirken Kraft in Richtung Abbau oder sogar Tod postulieren, verzichtet die PhilS auf ein derartige zusätzliche Annahme, muss adfür allerdings erklären, wo sich die weiter wirkende ungebremste Wachstumskraft beobachten lässt. Dies willl ich nun tun. Vorher weise ich darauf hin, dass die moderne Physik hinsichtlich ihres Modells von Materie von der Vorstellung abgerückt ist, Materie sei lediglich etwas Festes, habe eine starre Begrenzung und und besitze keine inhärente Kraft, die auf eine Ausdehnung gerichtet ist. Erstens hat sich gezeigt, dass bei weiterem Vordringen der Wissenschaft in immer kleinere Bereiche die Materie mehr und mehr in Felder "auflöst" und der Aufenthaltsort der Elementarteilchen zum Teil gar nicht konkret feststellbar ist (z.B. Elektronen, aber auch noch kleineren Teilchen, die Quarks), zweitens wurde ermittelt, dass Materie und Energie ineinander umrechenbar sind und Materie als konzentrierte Energie aufgefasst werden kann (Einstein) und drittens hat Materie in Form von Licht nicht nur Materiecharakter (Korpuskel), sondern gleichzeitig Wellencharakter, und gerade in dieser Welleneigenschaft elektromagnetischer Strahlung manifestiert sich die unerwartete Eigenschaft von Materie, sich auszubreiten. Ein Wachstumskraft oder "Selbstentfaltung" lebender Materie würde dies lediglich in anderer Form fortsetzen.
Wo setzt sich also das Wachstum des als "erwachsenen" bezeichneten Menschen fort? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns lediglich von einer Denksperre befreien, dann können wir dieses Wachstum beobachten. Wir denken den lebenden Körper des Menschen nur so weit, wie wir ihn selbst mittels unseres Nervensystems wahrnehmen können. Unser Nervensystem, das dem Hirn auch Informationen über unseren Körper liefert, endet an unserer Hautoberfläche. Dort nehmen dann über Sinneszellen bestimmte Qualitäten wahr, die wir der Außenwelt zuordnen (Festigkeit, Oberflächenbeschaffenheit, Schmerzverursachung usw.). Diese Selbstwahrnehmung hat sich im Lauf der Evolution als überlebenswichtig erwiesen und ist daher selektiert worden, wie man aus Sicht der evolutionären Erkenntnistheorie formulieren könnte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die daraus resultierende Vorstellung vom menschlichen Körper "richtig" ist. Im Gegenteil: sie war adäquat während einer gewissen Zeit menschlicher Entwicklung, sie ist aber den Erkenntnissen der heutigen Zeit nicht mehr angemessen, da sie den Blick auf den ganzen Menschen verstellt. Der ganze Mensch besteht nämlich nicht nur aus seinem lebenden Körperanteil, sondern auch aus seinen "zusätzlichen Organen", wie Hans Hass5 unsere Werkzeuge und underen Dinge nennt, die sich der Mensch zur Verbesserung seiner Fähigkeiten künstlich geschaffen hat durch seine spezifisch menschliche Arbeitstätigkeit. Dieses "Eigentum", über das sein Eigentümer verfügen kann, rechnet die PhilS dem menschlichen Individuum ebenfalls zu. Diese Produkte der menschlichen geistigen und körperlichen Arbeit sind Erweiterungen des menschlichen Körpers, stellen seinen nichtlebenden Materieanteil dar. Dieses Eigentm ist das Zeugnis des Weiterwirkens der Wachstumskraft. Um dies zu erkennen, müssen wir uns lediglich unseres evolutionär gewachsenen Denktabus entledigen, dass die Materie des Menschen an seiner Hautoberfläche endet. Selbstverständlich gehört auch die in Zusammenhang mit dem Eigentum entstandene Erfindung des Menschen, sein Geld, zum Individuum, sowie natürlich seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten.
Um nun diesen neuen Begriff des vollständigen Menschen von bisherigen abzutrennen, nennt die Philosophie lebender Systeme diesen Menschen, dem eine ständige Wachstumstendenz innewohnt, das "System Mensch".
Alle lebensäußerungen dieses Systems Mensch sind verstehbar und erklärbar unter Zugrundelegung lediglich zweier innerer Kräfte, nämlich der Selbsterhaltung, die nach innerer Homöostase strebt, und der Selbstentfaltung (Wachstumskraft). Diese Wachstumskraft, die sich in der menschlichen geistigen und körperlichen Arbeit manifestiert, ist mit einem Umbau von Materie verbunden. Arbeit wird daher von der PhilS als Materieumwandlung unter Aufwand von Energie und Zeit definiert. Was dabei letzten Endes entsteht, ist nun allgemein beschrieben, die Schaffung und Vergrößerung von Differenzen. Es wird Neues geschaffen, das sich vom Alten unterscheidet. Der Mensch schafft also durch deine Arbeit ständig neue Information im Sinne Batesons. Das innere Streben nach Eliminierung von Information erschafft im Außen des lebenden menschlichen Körpers immer mehr Information. Der Mensch transportiert durch seine Arbeit auf diese Weise Information vom Körperinneren in seine Außenwelt.
Eine selbstzerstörerische Kraft, seien es nun abbauende Kräfte (Steiner) oder ein Todestrieb (Freud) sind nicht erforderlich, dafür jedoch eine einfache Änderung der Zuordnung von Objekten der Außenwelt. Das Individuum muss sich also lediglich neu denken, die Grenzen seines Körpers erweitern und neu ziehen. Nicht mehr aber auch nicht weniger schlägt die Philosophie lebender Systeme vor.
Rudi Zimmerman, Berlin, den 26.2.2010 |