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Albert Schweitzer
Der vergessene Protagonist der Rettung der Menschheit durch einen mystischen Prozess
Die Menschheit am Wendepunkt
Der Gedanke, dass die Entwicklung der Menschheit an einem Punkt angelangt ist, an dem sich entscheidet, ob ihr zu zukünftiger Weg in den Untergang oder in eine goldene Zukunft führt, ist nicht neu. Schon in der Bibel ist davon die Rede. Ich gehe hier jedoch nur auf die aktuellen Veröffentlichungen in deutscher Sprache ein.
In den USA, aber auch in Indien, gibt - und gab es in jüngerer Vergangenheit - es eine Reihe derartiger Vorstellungen, die sich jedoch dadurch selbst diskriminieren, dass sie sich bei näherem Hinsehen als Methoden der Generierung von Geld entpuppen, oft unter dem Deckmantel "therapeutisch" wirksamer Praktiken. Derartige gewinnbringende Ideen interessieren den wahren finanziell unabhängigen Philosophen nicht - damit mag sich die gewinnorientierte akademische Philosophie beschäftigen. Hier geht es mir um einen philosophischen Mitstreiter im Geiste und Gegenwartspropheten, der die Menschheit bereits vor etwa 50 Jahren darauf hinwies, dass sie dem Untergang entgegenschreitet und gleichzeitig den Weg zur Rettung zeigte, ich rede von Albert Schweitzer1.
Albert Schweitzer als Gesellschaftskritiker
Im Angesicht der radioaktiven Verseuchung der Erde, die seinerzeit von den USA, der UdSSR (die es heute nicht mehr gibt) und Großbritannien betrieben wurde, warnte er vor der Inhumanität dieses Verhaltens, das er nicht den herrschenden Politikern, sondern den nationalistisch denkenden Völkern dieser Staaten anlastete. Allerdings warf er den Regierungen und Wissenschaftlern vor, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Die Regierungen "ziehen es vor, es mit einer … öffentlichen Meinung zu tun zu haben, die sie nach Belieben manipulieren können. Die Lenkung der öffentlichen Meinung ist ja die Hauptbeschäftigung der Regierungen unserer Zeit." (Schweitzer 1997, 136, geschrieben am 3.8.1963).
Die Humanität
Die Alternative bestand für ihn darin, dass sich entweder der Geist der Humanität oder der der Inhumanität durchsetze. Die humane Gesinnung muss zur Wirklichkeit werden, wenn die Menschheit nicht untergehen soll, (Schweitzer 1997, 126) formulierte er sinngemäß. Er schreibt: "Der heutige Menschheitspunkt": kommt die Gesinnung der Humanität oder der Inhumanität zur Herrschaft? "Wenn es die der Inhumanität ist, … ist die Menschheit verloren." (Schweitzer 1997, 132. Da die Humanitätsgesinnung dem Menschen nach seiner Auffassung angeboren sei, war er noch durchaus optimistisch. "Alle Menschen…. tragen in ihrer Eigenschaft als mitempfindende Wesen die Fähigkeit zur Humanitätsgesinnung in sich." (Schweitzer 1997, 126, verkündet 1954 anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn, seinerzeit wurde der Friedensnobelpreis noch für Arbeit für den Frieden verliehen und nicht für Propagandazwecke missbraucht).
Heute hat sich die Situation verschärft. Verfechter des Friedens und der Humanität werden millionenfach diskriminiert, diskreditiert und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Die Inhalte des Denkens Albert Schweitzers sind jedoch nicht untergegangen. Sie werden in der Gegenwart vertreten von Weltanschauungen, die ihren Ursprung im vorchristlichen China und Indien haben, also von Traditionen des Konfuzius und Buddha, um nur 2 Namen zu nennen. Die damit verbundenen Praktiken der Meditation oder anderer stiller Bewegungsübungen verbreiten sich im unaufhaltsam im westlichen Kulturkreis, während sie in ihren Ursprungsländern eher ein Schattendasein führen.
Der Unterschied zum Denken und Hoffen Albert Schweitzers besteht darin, dass jener noch im nationalistischen Denken gefangen war. Die Völker müssten umdenken, wie er seinerzeit annahm. Heute steht das Individuum im Mittelpunkt. Das Subjekt der Wendung ins Positive hat sich also verändert.
Das Individuum als handelndes Subjekt
Die Philosophie lebender Systeme hat bereits zur Jahrtausendwende darauf hingewiesen, dass das Individuum im Mittelpunkt stehe und nicht das nationalistische Denken der Völker. Das ICH als Mittelpunkt des Universums jedes einzelnen Menschen entscheidet für sich, ob es den Weg in den Untergang (die "Hölle" im alten katholischen Denken) geht oder den schmalen Pfad in den Himmel - um mal ein Bild der Bibel zu benutzen. Dieses ICH dürfe sich nicht okkupieren lassen von Identifikationen mit einer Religionsgemeinschaft oder einer Nation. Das ICH jedes Menschen ist der Entscheidungsträger und nicht die manipulierbare Masse der Staats- oder Religionsgläubigen. Nur das ICH, das sich verbunden fühlt mit jedem Lebewesen und Atom und Elementarteilchen der Natur, entscheidet, ob es sich mit falschen Göttern der Religionen oder mit Nationen identifiziert, die die Menschheit in den Untergang durch Umweltverpestung und Kriege treiben, oder mit der Natur und allem Lebenden und Existierenden. Diese Analyse ist inzwischen nicht eine spinnerte Idee, die sich unter den Tisch kehren lässt, sondern eine weit verbreitete übernationale Überzeugung (daher auch der Begriff "Über"Zeugung), die durch Morde, Verbrennungen und Diskriminierungen nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist von den "Herren der Apokalypse", wie Lutz von Werder (und andere) die Betreiber des Weltuntergangs nennt, die die öffentliche Meinung manipulieren und die Wahrheit diskreditieren.
Das Individuum ist das Subjekt, bei dem die Umkehr vom männlichen Denken, das hierarchisch strukturiert ist und die Menschen in Herrscher und Knechte, Gewinner und Verlieren unterteilt und nur ein materiellen Gewinnstreben kennt, hin zum weiblichen Denken einleitet, das Gewaltfreiheit, Kooperation, altruistisches Denken und die Einheit des Menschen mit der Natur und dem Kosmos repräsentiert. Unter dem Titel "Connectedness" (Verbundenheit) haben kürzlich auch Gerald Hüter und Christa Spannberger2 (Herausgeber) mit ihren Mitautoren den gegenwärtigen Stand der Entwicklung der Menschheit analysiert.
Lutz von Grünhagen3 bezeichnet diesen Prozess als psychische Revolution, Lutz von Werder als spirituelle Revolution4. Ersterer meint, der Mensch werde aufgrund seiner Intelligenz zu der Einsicht kommen, dass die Förderung der Entfaltung der Mitmenschen auch dem Einzelnen Nutzen bringe, letzterer erhofft sich den Wandlungsprozess der Individuen durch meditative Methoden, die das innere Erleben der Einheit mit der Natur und dem Kosmos herstellen und auf diese Weise zur Verhaltensänderung führen, die die Schonung alles Lebenden auf der Erde zum Ziel hat.
Die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben
Albert Schweitzer hingegen war der Überzeugung, dass es in der Natur des Menschen liege, das Leben alles Lebenden zu fördern und das dieser angeborene ethische Handlungsvorsatz ihn vom Tier unterscheide. Dies verstand er unter dem Begriff der Humanität. Während das Tier von Natur aus gezwungen sei, unethisch zu handeln, um sein Überleben zu sichern, sei der Mensch in Abgrenzung dazu mit einem Geist ausgestattet, der es ihm ermögliche, sich ohne Schädigung anderen Lebens zu überleben. Von dieser natürlichen Anlage müsse er lediglich Gebrauch machen. Nötig sei die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben. "Die Natur lehrt grausigen Egoismus, …" (Schweitzer 1997, 33, Predigt von 1919)
"Durch die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben gelangen wir in ein geistiges Verhältnis zum Universum." (Schweitzer 1997, 21; geschrieben bereits vor 1914). Er sieht - wie die Philosophie lebender Systeme oder auch Sigmund Freud - einen Konflikt im Individuum zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft und dem individuellen Interesse. "Die ethischen Konflikte zwischen der Gesellschaft und dem Einzelnen rühren daher, dass dieser nicht nur persönliche, sondern auch überpersönliche Verantwortung trägt." (Schweitzer 1997, 41; geschrieben bereits 1923). Als Lösung sah er jedoch nicht wie Freud eine Ablösung des Lustprinzip durch das Realitätsprinzip, also eine Anpassung an die Forderungen der Gesellschaft, sondern kritisierte die Individuen für diese Unterwerfung unter die von Freud so genannten "Über-Ich" Forderungen. Das Individuum opfere hierdurch seine Menschlichkeit (Schweitzer 1997, 41; geschrieben 1923). "Unterwerfe ich mich unter dem Druck der überpersönlichen Verantwortung dem Zweckmäßigen, so werde ich … schuldig …." (Schweitzer 1997, 42; geschrieben 1923).
Die Selbstbefreiung des Individuums von der Opportunitätsmentalität durch einen mystischen Prozess
Er diagnostizierte bei diesen Menschen eine Opportunitätsmentalität. (ebenda, Seite 45) Den Ausweg aus diesem Dilemma beschrieb er als mystischen Prozess, der im neuen Testament vorgezeichnet sei. Tod und Auferstehung und Nachfolge Jesu Christi meine nicht den Tod und die Auferstehung des Körpers, sondern den Tod und die Auferstehung des individuellen Geistes im eigenen Körper, also im Diesseits. Der Opportunitätsgeist, der die Menschlichkeit unterdrücke, müsse absterben und der menschliche Geist des Individuums, dem die Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben innewohne, werde auferstehen. Die Unterwerfung unter das Gesellschaftsinteresse beraube das Individuum seiner elementaren Freiheit und der so interpretierte Vorgang des Todes und der Auferstehung mache das Individuum frei. (ebenda, Seite 61/62). Im östlichen Weg der Versenkung sieht er keinen Ausweg, sondern ein Flucht in Passivität, "ein Untergehen im Ozean des Unendlichen" (ebenda, Seite 84, geschrieben 1930). "Einen Inhalt bekommt das Einswerden des endlichen Willens mit dem unendlichen erst, wenn es … zugleich als Ergriffensein von dem Liebeswillen erlebt wird … und in uns Tat wird." (ebenda Seite 84) Der Gedanke des Sterbens und Auferstehens mit Christo dränge nicht zur Weltverneinung, zur Askese oder Absonderung von der Welt, sondern zur Tat im Geiste Jesu als Wille der Liebe. (ebenda, Seite 89). "Nur eine umfassende Ethik, die uns auferlegt, unsere tatsächliche Aufmerksamkeit allen Lebewesen zuzuwenden, setzt uns wahrhaft in ein inneres Verhältnis zum Universum und dem Willen, der sich in ihm manifestiert." (ebenda, Seite 112; geschrieben 1952)
So weit die Gedanken Albert Schweitzers.
Die Gedanken der Philosophie lebender Systeme
Die Philosophie lebender Systeme (PhilS) beschreibt den Konflikt zwischen den Interessen der Gesellschaft und den Eigeninteressen des Individuums nicht als ein Entweder-Oder-Problem, sondern das Individuum ist naturgesetzlich einerseits Element des übergeordneten Systems Staat, Gesellschaft oder Religionsgemeinschaft, die ihrerseits handelnde Einheiten (= ”lebende Systeme höherer Ordnung”) sind, andererseits ist es selbst ein lebendes System mit Eigeninteressen, die im Überleben und im Wachstum ("Selbstentfaltung") bestehen. Konflikte zwischen dem Eigeninteresse und dem gesellschaftlichen Interesse sind daher vorprogrammiert und können grundsätzlich nicht abgeschafft werden. Nach Ansicht der PhilS kann die Lösung nur darin bestehen, dass sich das Individuum nicht mit einer Nation, einem Staat oder einer Religionsgemeinschaft (= “Holons” im Sinne A. Kostlers) identifiziert, sondern mit der Menschheit – oder auch allem Lebenden5. Die Ursache der Trennung der Menschheit in derartige Holons ist die Umstellung des tierischen bildhaften Denkens auf das begriffliche Denken in unterschiedlichen Sprachen. Das Problem unterschiedlicher Begriffssprachen ist heute durch Übersetzungsprogramme prinzipiell einigermaßen lösbar. Das Individuum kann jedoch nicht anders als einen Teil seiner Zeit in den Dienst seiner Mitmenschen zu stellen. Hieraus gewinnt es sein Selbstwertgefühl. Gebraucht zu werden und altruistisch tätig zu sein wird vom Mitmenschen mit Anerkennung belohnt, verschafft auf diese Weise "narzisstischen Gewinn", es wird aber auch mit Geldzuwendung vergütet, was die Möglichkeit eröffnet, eigene Mängel und Unzulänglichkeiten zu kompensieren, indem das Individuum seine Mitmenschen in seinen Dienst stellt, also als Käufer von Dienstleistungen und Waren tätig ist. Wenn das Individuum und seine Abgaben ("Steuern") allerdings von der Gesellschaft dazu verwendet werden, inhumane Ziele zu verfolgen, wie die radioaktive Verseuchung der Erde bzw. allgemein die Umwelt in lebensfeindlicher Richtung zu verändern, oder nicht demokratisch kontrollierte Institutionen zu unterstützen, wie die Finanzmärkte oder die Banken, hat das Individuum das Recht und die Pflicht, gegen derartige Vernichtungsaktionen gegen die Menschheit und das Leben auf der Erde öffentlich Stellung zu nehmen und gewaltfrei zu protestieren und Gegenforderungen zu erheben.
Die Entmündigung des Individuums durch die Politik muss beendet werden
Eine immer noch aktuelle Forderung der Philosophie lebender Systeme besteht darin, dass jedes Individuum über die Verwendung seiner Steuern und Abgaben an den Staat selbst bestimmen können muss. Die derzeitige Fremdbestimmung über sein Geld, die sich Politiker anmaßen und die damit verbundene Entmündigung des Bergers muss beendet werden.
Rudi Zimmerman, Webphilosoph
Literatur
1 Schweitzer, Albert: Die Ehrfurcht vor dem Leben. Grundtexte aus fünf Jahrzehnten. Verlag C.H. Beck. 1997 (7. Auflage). ISBN 3-406- 35779-2
2 Spannbauer, Christa und Hüther, Gerald: Ein Plädoyer der Verbundenheit. In: Gerald Hüther, Christa Spannbauer (Herausgeber): Connectedness. Warum wir ein neues Weltbild brauchen. Verlag Hans Huber. Bern. ISBN 978-3-456-85083-2
3 Grünhagen, Lutz von: Menschheit am Ziel. Skizzen zur fälligen Weltrevolution. Leonhard-Thurneysser-Verlag. Berlin & Basel. 2011. ISBN 978-3-939176-78-7
4 von Werder, Lutz: Existentialismus jetzt! Eine neue Philosophie der Hoffnung. Schibri-Verlag. Strasburg/Uckermark. 2012. ISBN 978-3-86863-093-0
5 Zimmerman, Rudi: Zivilisation als Fortsetzung der Evolution. Die Entwicklung der Erdbevölkerung zum System Menschheit. Verlag Philosophie des dritten Jahrtausends. Berlin. 2008. ISBN 978-3-00024-701-9
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