|
Offener Brief an Hans-Peter Dürr, Kernphysiker und Denker eines neuen Weltbilds
Sehr verehrter Herr Prof. Dürr,
neulich hab eich Ihrem Vortrag in der Urania beigewohnt, inzwischen habe ich Ihr Buch "Warum es ums Ganze geht" gelesen.
Im Großen und Ganzen bewundere ich nicht nur Ihren Impetus, sondern Ihre Aussage, möchte mich jedoch nicht mit Lobhudelei aufhalten, sondern gleich zu meiner kritischen Frage kommen. Die Grundlage der Materie sei Immaterielles – dem stimmte ich so weit zu. Was mich allerdings (als Neurologe, Psychoanalytiker und Philosoph) wundert, ist, dass Sie praktisch das Immaterielle dem Geistigen gleichsetzen. Ich würde die Begriffe so lassen und betrachte das Geistige zwar auch immateriell, aber es ist nach meiner Ansicht nicht alles Immaterielle Geistiges – aber das ist wohl mehr oder weniger eine Frage der Definition. Ebenso ist es wohl bei der Definition von Information, die bei mir erst da beginnt, wo ein Sender und ein Empfänger vorhanden ist, also bei dem Austausch von Nachrichten. Hierbei verstehe ich unter Information den Inhalt einer Sendung (Botschaft), nicht die Menge von Bits. Das Geistige benötigt stets einen materiellen Datenträger, wenn es gespeichert werden soll (Z.B. Im genetischen Code, im Hirn oder in einem Buch) oder wenn es transportiert werden soll. Als Nichtmathematiker kann ich der "Informationstheorie", die sich nur mit der Menge von Daten befasst, nicht viel abgewinnen.
Nun sagen Sie, die Form war vor der Materie da. Ihre Beschreibung des alten Denkens als Apfelgreifdenken oder Überlebensdenken möchte ich bei der Gelegenheit erweitern: Es ist nicht nur die Form des Apfels oder der Banane, sondern auch die Form des Feindes, deren Erkennen überlebenswichtig ist und vor allem die Form von Objekten der Außenwelt, an denen ich mich verletzen könnte, die mir wehtun könnten. Alles das ist natürlich das Überlebensdenken, wie Sie ja auch sagen. Die Form von Objekten ist jedoch nicht objektiv vorhanden und war auch nicht vor der Materie da, sondern zusammen mit ihr, aber das Entscheidende, wo ich Ihnen widersprechen möchte, ist, dass die Form eine reine Konstruktion unseres menschlichen Denkens ist. Form ist objektiv gar nicht vorhanden, sondern entsteht als Bild in unserem Kopf, mit Hilfe der Leistung unseres materiellen Gehirns. Hier habe ich allerdings eine andere Auffassung als beispielsweise Metzinger, der die elektrischen Nervenimpulse der Großhirnrinde als das einzig vorhandene ansieht und das Geistige verleugnet. Nach meiner Auffassung ist es eine Funktion des ICHs, diese elektrischen Nervenimpulse des Hirns (hier der Großhirnrinde) in Bilder oder in Töne oder in Gerüche umzuwandeln, je nachdem, an welcher Stelle des Hirns diese Nervenreize auftreten.
Ich möchte also sagen, dass zwar das Immaterielle das Primäre ist und das Materielle sich als eine Art Kondensation daraus ergebt, dass aber dieses Materielle Voraussetzung dafür ist, dass der Mensch dieses in eine Form übersetzt, Geistiges daraus konstruiert, und Information zum Zwecke ihres Austauschs mit anderen Menschen schafft. Hierfür ist übrigens wieder ein System höherer Ordnung erforderlich, nämlich die menschliche Gemeinschaft.
So trenne ich in meiner Philosophie unterschiedliche Ordnungshöhen von System (nichtlebenden und lebenden). Die unterste bekannte Ordnungshöhe sind die subatomaren Teilchen, die immateriell sind. Auf der übergeordneten Ordnungshöhe handelt es sich dann bei den entstehenden Holons um Atome und Moleküle. Finden sich Massen von Atomen/Molekülen zu Einheiten (Holons) zusammen, entsteht beispielsweise aus Wassermolekülen Wasser und aus anderen viele andere Objekte, deren Bewegungen (Verhalten) mit den bekannten physikalischen Gesetzen beschreibbar ist. Die Ordnungshöhe von Menschen (Individuen) ist vergleichbar mit der von Molekülen. Finden sich Massen von Menschen zusammen, bilden diese Gesellschaften, Staaten, Nationen usw., deren Verhalten dann ebenfalls mittels einfacher "Gesetze" beschreibbar ist. Auf dieser höheren Ordnungshöhe manifestieren sich jedoch wie im Anorganischen neue Eigenschaften. So ist der Mensch frei in seinen Entscheidungen, wie beispielsweise ein Wassermolekül (wenn dieses "entscheiden" könnte), aber auf die lebenden Systeme höherer Ordnung (Staaten), deren Teil (Element) das Individuum ist, hat das keinen Einfluss, weil staatliche Entscheidungen statistische Mittelungen sind – wie eben das Verhalten des Wassers eine Mittelung der freien Wassermoleküle sind, aus denen es sich zusammensetzt. Das Verhalten dieser übergeordneten Holons (Arthur Koestler) ist übrigens weit primitiver als die der Individuen – Wasser macht nichts weiter, als bergab zu fließen und Staaten nichts anderes als Kriege zu führen (und Vorbereitungen dafür zu treffen).
Nun habe ich Ihnen damit einen zentrales Anliegen meiner Philosophie geschildert, die ich seit 10 Jahren entwickle und im Internet verbreite.
Mit Ihnen konform gehe ich in der Überzeugung, dass Leben ein labiler Zustand ist. Dies zeigt sich darin, dass die Überlebensaktivitäten (die Nahrungs- und Wasseraufnahme) der Aufrechterhaltung des Inneren Milieus (=Zusammensetzung des Körperwassers) dienen. Für diese hat der Organismus Sollwerte gespeichert, die er ständig mit den Istwerten vergleicht. Leben ist der ständige Versuch des Körpers, diese Istwerte zu erreichen. Die Nahrungsaufnahme wird immer komplizierter: früher musste ich nur die Banane greifen, die am Baum hing, auf dem ich lebte. Inzwischen hat die Zivilisation einen gewaltigen Apparat aufgebaut, der die Banane in Südamerika pflückt und sie in den Supermarkt nebenan transportiert, wo ich sie mit dem Geld kaufe, das ich durch irgendeine völlig anders (als mein damaliger Pflückakt) aussehende Arbeit erwerbe. Sie nennen das Energiesklaven, ich spreche von Effektoren, einem aus der Kybernetik entnommenen Begriff. Hans Hass spricht von zusätzlichen Organen.
Ich bin wie Sie der Ansicht, dass sich das Wahre immer durchsetzt, so auch meine Philosophie. Deshalb mache ich keine öffentliche Werbung, sondern such nur den Dialog. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg, den Sie allerdings aus dem gleichen Grund auch ohne meinen Wunsch weiterhin haben werden.
Mit freundlichen Grüßen
Rudi Zimmerman |