Parmenides (Elea, etwa 510 bis 450 v. Chr.)
und die Ontologie der Philosophie lebender Systeme
von Rudi Zimmerman
Parmenides gilt als der erste "Ontologe", also der erste, der sich außerhalb der Religion mit der Frage beschäftigt hat, ob hinter den sinnlich erfahrbaren Dingen ein "Sein" liegt, das nur dem Geist erkennbar ist. Er sagt: Das Denken und der Gedanke, dass das IST ist, sei dasselbe. Nach P. ist nur das Sein und Nichtsein ist nicht.
Bei dieser einfachen und logisch leicht nachzuvollziehenden Behauptung bleibt er nicht, sondern er macht auch Aussagen über dieses Sein.
Das Sein sei nie geboren und sei unvergänglich. Dies im Unterschied zu dem "Schein", nämlich den menschlichen Wahrnehmungen der Welt. Die materielle Welt bestehe aus Vergänglichem, das sich ständig verändere, während das Sein ewig und unveränderlich sei.
Das Sein habe auch kein Ziel, es ist ziellos.
Das Sein ist nicht teilbar. Es ist ganz gleichartig. Es ist unveränderlich.
Auch bis hierhin erscheint Parmenides nachvollziehbar.
Der Vergleich Sein - Kugel
Nun bietet er folgendes Bild, um seinen Begriff des Seins verständlich zu machen:
Das Sein müsse eine letzte Grenze haben und sei nach allen Seiten gleich vollendet. Es sei vergleichbar mit einer Kugel, "von der Mitte her überall gleichgewichtig."
Die Kritik der PhilS
Hier setzt die Kritik der Philosophie lebender Systeme an.
Ein Sein, das mit einer Kugel vergleichbar ist, also eine Ausdehnung und eine Grenze hat, ist ein irreführendes Bild, da das Sein zeitlich und räumlich unbegrenzt ist. Eventuell handelt es sich auch nur um einen Übersetzungsfehler. Aus meiner Sicht wäre es treffender, das Sein mit der Oberfläche einer Kugel zu vergleichen (oder aber mit einem Kreisradius).
Die Philosophie lebender Systeme basiert auf den Erkenntnissen der Naturwissenschaften und beschäftigt sich daher nicht mit hypothetischen Fragen. Selbstverständlich kann der Mensch mit seinen Sinnen nur das wahrnehmen, was ihm die Sinne als Wahrnehmung gestatten. Aber er kann darüber hinaus Hypothesen aufstellen über die wahrnehmbaren Dinge und anhand von Experimenten entscheiden, ob diese Hypothesen zutreffend sind (Verifikation) oder nicht (Falsifikation). Er kann also mit Hilfe wissenschaftlicher Experimente mehr erkennen als er wahrnehmen oder sich vorstellen kann. So wissen wir beispielsweise, dass ein Photon Welleneigenschaft und Teilcheneigenschaft hat, ohne uns diese widersprüchliche Gewissheit auch vorstellen zu können. Wir haben Gewissheit über bestimmte Eigenschaften subatomarer Teilchen, können aber nur Modelle über die Struktur des Atoms bilden, die unzureichend sind. Das "Ding an sich" können wir trotz aller Wissenschaft nicht erkennen, wie Kant es formulierte, und wir werden es nie vollständig erkennen können.
Wir wissen neben anderen mathematisch-geometrischen Wahrheiten jedoch, dass die sichtbaren Dinge, besonders die lebenden Systeme und auch der Mensch, offene Systeme sind, die eine Grenze haben. Über weitere Eigenschaften und Bewegungsgesetze dieser nicht-lebenden und lebenden Systeme und über Verhaltensgesetze des Menschen will ich mich hier nicht auslassen, ich weise hier nur darauf hin, dass wir, um sie zu erkennen und zu verstehen, Grenzen dieser Systeme definieren. Diese willkürliche Grenzsetzung ist Voraussetzung für jegliche wissenschaftliche Forschung. Lebende Systeme sind also begrenzt, sie haben eine Grenze, die der Mensch als Beobachter setzt, und diese Grenze ist offen.
Das bedeutet: lebende Systeme tauschen Materie und Energie mit ihrer Umgebung aus.
Das Universum hingegen hat keine Umgebung, kann also keine Energie oder Materie von außerhalb aufnehmen oder nach außen abgeben (= 1. Hauptsatz der Thermodynamik). Das Universum hat keine Grenze, und es ist darüber hinaus ein absolut geschlossenes System. Deshalb wäre ein Vergleich des Seins mit der Kugeloberfläche treffender: die Kugeloberfläche hat nämlich auch keine Grenze. Man könnte sich auf ihr in alle (zweidimensionale) Richtungen frei bewegen, ohne je an eine Grenze zu stoßen. Gleichzeitig aber ist die Kugeloberfläche endlich. Sie hat eine in ihrer Größe (Ausdehnung) definierte Oberfläche, die nicht zu- oder abnimmt. Die Größe der Oberfläche ist und bleibt - wie das unveränderliche Sein, ohne jedoch begrenzt zu sein.
Die Ontologie der PhilS
Nach dieser Klarstellung möchte ich nun meinerseits etwas zum "Sein" sagen:
Das Sein ist kein Ding, das irgendwo außerhalb des Systems Mensch existiert, sondern es ist erstens etwas Geistiges, das das menschliche Individuum für sich erschafft und in der Welt erkennt, so wie das ICH des Menschen die Ziele seiner Entfaltung festlegen kann. Dies wäre das individuelle Sein.
Es gibt darüber hinaus auf jeder Stufe der Organisation nichtlebender und lebender Systeme ein "Sein". das Individuum ist eingebettet in ein lebendes System höherer Ordnung, das menschliche Individuum beispielsweise in einen Staat. Diesem ist das System Menschheit übergeordnet, diesem das System Erde. Letztlich ist das Universum das allem übergeordnete System.
Bei diesen Systemen (Erde, Universum) spricht man besser von der "Existenz", anstatt von "Sein".
Über die Existenz des Systems Universum lässt sich noch eine interessante Aussage machen: Dieses ist ewig, also zeitlich unbegrenzt, wie es auch räumlich unbegrenzt ist – auch wenn es geschlossen ist. Es ist zeitlich und räumlich unbegrenzt und geschlossen.
Das System Menschheit ist derzeit dabei, sein übergeordnetes System, das System Erde, so zu verändern, dass in absehbarer Zeit keine lebenden Systeme mehr auf ihm existieren können. Verantwortlich dafür ist einerseits die ständig steigende Übervölkerung des Systems Erde mit Menschen, andererseits das ständig steigende Wachstum der Individuen. Zu diesem individuellen Wachstum rechnet die Philosophie lebender Systeme bekanntermaßen auch die Zunahme des materiellen Eigentums und den Anstieg des Energieverbrauchs durch steigenden Konsum (siehe "Zivilisation als Fortsetzung der Evolution", ISBN 9783000247019).
Für das System Erde und das System Universum ist es belanglos, ob sich die Menschheit selbst ausrottet oder ob sie es schafft, ihr materielles Größenwachstum zu regulieren. Diese Systeme werden weiterhin ewig existieren, auch ohne den Menschen.
Auch das Erreichen des Ziels der Entfaltung des Universums, nämlich die ständige Zunahme von Information, die nach der Erkenntnis der Philosophie lebender Systeme die andere Seite der thermodynamischen Entropie ist, wird nicht zu verhindern sein, sondern anderenorts auf anderen Erden des Universums verwirklicht werden.
Rudi Zimmerman, Webphilosoph, den 7.11.2013 |