Gottfried Wilhelm Leibniz 1646-1716
Die beste aller Welten (Theodizee)
eine kritische Betrachtung von
Rudi Zimmerman
Liebe Philosophiefreundin und lieber Philosophiefreund,
Leibniz war der Ansicht, dass wir in der besten aller Welten leben. Gott könne in seiner Güte, Weisheit und Allmacht nur die beste aller Welten geschaffen haben (seine Theodizee1).Dafür musste er viel Kritik ertragen und sich Spott gefallen lassen, angefangen bei Voltaire.
War Leibniz von Blindheit geschlagen oder in welchem Sinn könnte der Satz wahr sein?
Das Beste
Gleich vorweg, liebe Leserin: das Beste ist weder das Schönste noch das, was den Menschen am meisten Freude bereitet. Das Beste ist natürlich nicht das, was jedem Menschen am meisten Spaß macht.
Das Beste könnte allenfalls das sein, was statistisch gesehen durchschnittlich mehr Lust als Leid bringt. Leibniz war auch Mathematiker und könnte an so etwas wie die Gausssche Verteilungskurve gedacht haben, deren Maximum den Durchschnitt kennzeichnet. Aber auch das denke ich nicht.
Allerdings denke ich, dass Leibniz auch diesen Satz theoretisch meinte und nicht als Beschreibung der realen Welt des Individuums. Leider glaubte er an Gott als Schöpfer und Lenker der Welt. Seine Grundlage war also an eine m.E. unwahre Theorie. Aber vielleicht kam er trotz der unwahren theoretischen Grundlage zu einer wahren Aussage über die Welt.
Für mich ist erst einmal die Frage, für wen diese Welt auf dem Planeten Erde die beste aller Welten sein soll. Etwa für die oberen Zehntausend bzw. für die Reichen dieser Welt?
Das selbstverständlich nicht. Aber man kommt der Sache schon näher, wenn man einmal vom Menschen überhaupt abstrahiert.
Wer einen derartigen Satz sagt, muss eine bestimmte Vorstellung davon haben, was der Sinn der Welt eigentlich ist. Und um diesen Sinn maximal zu erfüllen, könnte die Erde die beste aller “Welten” sein. Ich untersuche diesen Satz einmal im Lichte meiner Theorie über die Welt, die m.E. nicht geschaffen ist, sondern ewig besteht. "Geschaffen" bedeutet ja, sie habe einen Anfang. In meiner Vorstellung hat sie jedoch weder Anfang noch Ende, sondern ist ewige Entwicklung (alles fließt ewig, wäre meine Ergänzung von Heraklits Erkenntnis).
Der Sinn des Lebens auf der Erde
Die Welt ist gar nicht dazu da, den Menschen glücklich zu machen. Die Existenz des Universums hat einen völlig anderen Grund, sein Ziel hat überhaupt nichts mit dem Menschen zu tun. Das menschliche Individuum ist lediglich ein Beiwerk, ein notwendiges Übel.
Man versteht die Behauptung des Herrn Barons von Leibniz nicht, wenn man das menschliche Individuum in den Mittelpunkt stellt. Aber gerade das tun natürlich die meisten Menschen. Sie glauben, dass die Welt den Sinn hat, sie glücklich zu machen. Die meisten glauben sogar, dass ein Gott gerade deshalb die Welt erschaffen hat. Viele Gottgläubige denken angesichts des Unglücks in der Welt allerdings auch, dass das Leben auf der Erde eine Strafe Gottes ist und erhoffen sich das Paradies nach ihrem Tod. Dafür beten sie dann täglich und Spenden für die Kirche, die diesen Unsinn in die Welt gesetzt hat, um die Menschen auszubeuten.
Wenn man sich allerdings nüchtern ansieht, was in der Welt, also auf der Erde, passiert, dann geht einem langsam ein Licht auf, wie weitsichtig Leibniz mal wieder war. Und man realisiert, dass Leibniz mit dem noch sehr kärglichen Wissensstand der damaligen Zeit aus theoretischer Sicht zu Ergebnissen kam, deren Inhalt erst heute langsam zutage tritt und sich als richtig erweist. Zu seiner Zeit wusste man noch gar nichts sicheres über die Evolution. Darwin kam erst im 18. Jahrhundert.
Der genetische Code
Schauen wir doch einmal mit Leibniz und den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen hinter die Kulissen des Sichtbaren. Was erscheint da als die „Substanz“ des Menschen, als das Wesenliche der Menschen, der Tiere und der Pflanzen, der lebenden Systeme? (Leibniz schaute immer ins Innere der Dinge und fragte sich, was unter der Oberfläche des Sichtbaren (Sub-stanz = sub - unter, stare = stehen) sein könnte.
Heute wissen wir, dass unter der Oberfläche, im Inneren der Lebenden Systeme ein in jeder lebenden Zelle befindlicher genetischer Code steckt. Dieser genetische Code auf den Chromosomen ist sozusagen das Wesentliche des Lebenden Systems. Das Äußere, der sonstige menschliche Körper mit seinen Organen, ist lediglich dazu da, diesen Informationsspeicher über eine gewisse Zeit am Leben zu erhalten, sich mit einem gegengeschlechtlichen Partner zu vereinigen und diesen Code zu vermehren und auszubreiten. Dies ist im Idealfall die Überproduktion von Nachkommen. Danach kommt die Selektion, die Umwelt mit ihren Schrecklichkeiten: Hitze, Kälte, Dunkelheit, Fressfeinde oder Krankheitserreger, Kriege und Hungersnöte. Diese Schrecklichkeiten selektieren (ein nettes Wort für die Ausrottung der überwiegenden Zahl der Nachkommen). In der Regel wenige Nachkommen (bei den Menschen sind es sogar sehr viele) überleben, sind die „fitteren“ und tragen die genetisch gespeicherte Information weiter. Überproduktion von Nachkommen und Selektion sind die beiden Faktoren, die die Evolution vorantreiben.
Für die Träger der Gene, die Individuen, ist das selbstverständlich nicht die beste aller Welten. Stellt man aber einmal die Information, die sie auf ihren Genen tragen, in den Vordergrund, wird schnell klar, dass wir in einer Welt leben, in der Information - also etwas Geistiges - verbreitet und vervollkommnet wird. Und zu diesem Zweck haben wir auf der Erde die beste aller Welten. Sie ist allerdings die beste aller Welten, weil sie sich entwickelt hat und immer weiter entwickelt, und nicht, weil sie erschaffen wurde.
Das konnte Leibniz natürlich noch nicht wissen. Er wusste in vielen Dingen gar nicht, wie Recht er mit seinen Theorien hatte. Nicht wahr, lieber Philosophiefreund?
Rudi Zimmerman, Philosoph lebender Systeme, Berlin im August 2019
Literatur 1) Leibniz, Gottfried Wilhelm: Die Theodizee. 1710. Amsterdam 2) Zimmerman, Rudi: Die Datentransformation. Das Individuum als selbstkopierender Datenträger und das Zeitalter des Systems Mensch. 2001. Berlin. ISBN-13: 9783831119028 |