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Thales (Milet, etwa 624-546)
erster Philosoph und Erfinder der Goldmünze
von Rudi Zimmerman
Wahrheitsliebe und Wissen contra Glauben
Liebe Freundin, lieber Leser,
Thales sei der erste Philosoph westlicher Prägung gewesen. Sagen Weischedel1 und andere Historiker. Er lebte im 6. Jahrhundert vor Christus in Milet, einer Hafenstadt an Kleinasiens Mittelmeerküste, die seinerzeit eigentlich zu Griechenland gehörte, aber von Lydien besetzt war.
Über die Gründe, warum sich zu dieser Zeit Philosophie entwickelt habe, sagen uns unsere Philosophiehistoriker so gut wie nichts. Das ergänze ich zunächst einmal.
Philosophie heißt übersetzt „Liebe zur Wahrheit“ oder zur Weisheit oder einfach Wahrheitsliebe. Man erlaubte sich also seinerzeit anscheinend erstmalig, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Man erlaubte sich jedoch nicht, auszusprechen, was die Unwahrheit oder was Nichtweisheit war – und ist. Hätte man das ausgesprochen, wäre man umgebracht worden. Es stand nicht nur damals, sondern auch heute noch in einigen Ländern, die Todesstrafe auf Gotteslästerung. Philosophie ist nämlich eine verkappte Gotteslästerung. Was der Staat offiziell als Wahrheit verkündete und was durch die Priesterschaft als wahr behauptet wurde, war und ist der Glaube an Götter. Irgendwelche Männer hatten sich Geschichten ausgedacht, in denen behauptet wurde, es gäbe einen oder mehrere Götter, die die Welt erschaffen hätten und die Geschicke der Menschen lenken würden. Diesen Geboten und Verboten des Gottes mussten die Menschen gehorchen. Und wer nicht gehorchte, wurde kurzerhand ermordet. Natürlich offiziell mit einem Todesurteil. Er oder sie wurde also mit dem Tode bestraft, wenn er oder sie diese Märchen anzweifelte.
Vielgötterei und Monotheismus contra Wissen
Damals im alten Griechenland waren es offiziell viele Götter und Göttinnen mit einem Obergott (Zeus), die als solche angebetet werden mussten.
Nun gab es nicht nur das alte Griechenland, das sich zunächst im östlichen Mittelmeer, in der Ägäis, ausgebreitet hatte, sondern es gab auch Ägypten. Die ersten Philosophen waren Männer, die herumgekommen waren und auch in Ägypten gewesen waren, wo bereits Pyramiden standen und es Mathematiker gab, die rechnen konnten – was für den Bau dieser Pyramiden erforderlich war. Nun gab es dort auch schon andere Vorstellungen über das Jenseits und über die Götter. Es gab nämlich dort nur einen einzigen Gott, den Sonnengott. Alles kam vom Sonnengott, der die Welt geschaffen hatte.
Die reichen und gebildeten Männer, die zu den ersten Philosophen wurden, kannten von ihren Aufenthalten in Ägypten also auch Alternativen zur Vielgötterei.
Und das war der eine Grund, warum Philosophie entstand. Sie entstand als Alternative zum Glauben, liebe Freundin. Man wollte nicht irgendwelche ausgedachte Geschichten glauben, sondern man wollte wissen. Man fragte sich, was ist eigentlich ausgedacht, Glaube oder Mythos und was ist im Gegensatz dazu gesichertes Wissen, also Wahrheit oder Weisheit.
Die ersten Philosophen waren deshalb erstens Mathematiker und hatten Ahnung von Geometrie, zweitens hatten sie von den Göttergeschichten die Nase voll.
Sie suchten nach Antworten auf 2 Fragen: 1. Was ist wahr und gilt dementsprechend ewig, unabhängig von den erfundenen und wechselnden Göttergeschichten? 2. gibt es ein einheitliches übergeordnetes Prinzip im Universum oder das Eine, das über allem steht und aus dem sich die Vielfalt, die man über die Sinne erfahren und wahrnehmen kann, entwickelt hat?
Die philosophischen Antworten des Thales
Die erste Frage beantwortete Thales damit, dass nicht die Mythen über die Götter wahr seien (diesen Teil seiner Aussage verschwieg er wohlweißlich, da er nicht als Häretiker verfolgt werden wollte), sondern die mathematischen Gesetze gelten ewig. Er bewies die Allgemeingültigkeit des nach ihm benannten "Satz des Thales". Seine geistigen Nachfolgen sind Pythagoras und dessen Anhänger, die eine Schule bildeten – Thales war ja noch philosophischer Einzelkämpfer und war im Hauptjob Unternehmer und Politikberater, wie man es heute nennen würde, lieber Freund.
Die zweite Frage beantwortete er mit: das Eine ist das Wasser. Das Wasser sei das Wesen der Dinge, das übergeordnete Prinzip. Das flüssige Wasser hat keine Form, es ist reines Wesen. Verdichtet man das Flüssige, wird es fest und nimmt eine Form an, hat aber dabei sein Wesen nicht geändert. Verdünnt man es, wird es gasförmig, Luft. Wird Luft weiter verdünnt, wird sie zu Geist, damals Seele genannt.
Das ist die philosophische Großtat des Thales. Aber Thales war auch Praktiker, Handelnder. Er lebte in Milet, der Stadt, in der Krösus regierte. Und er war Berater des Krösus, des Königs von Lydien. Er beriet ihn in Kriegsfragen. Das ist sicher und wurde von dem Geschichtsschreiber der damaligen Zeit, Herodot, dokumentiert. Was Herodot jedoch nicht festhielt oder was verschwiegen wird, ist, dass er Krösus auch in wirtschaftlichen Fragen beriet.
Der Vorteil einer Goldmünze als Zahlungsmittel
Seinerzeit hatte jede politische Einheit, jeder griechische Stadtstaat seine eigene Münze. Er gab kein allgemeingültiges, übergreifendes "internationales" Geld, keine Münze, die in allen Handel treibenden Orten rund ums Mittelmeer und in Asien akzeptiert wurde. Das erschwerte den Handel. Der „internationale“ Handel war daher immer noch ein Tauschhandel Ware gegen Ware. Den Ausweg aus dieser Situation fand Thales. Es musste eine Münze her, die einen definierten Wert hatte. Eine Münze, die nicht nur in einer Ortschaft Gültigkeit hatte, sondern die einen Eigenwert hatte, den es überall gab und der weltweit akzeptiert wurde. Krösus ist ja nun heute noch bekannt als derjenige, der Gold im Überfluss besaß. Dieses wurde in einem Fluss seines Landes (Lydien, das Land der Lyder) geschürft und zusätzlich auch abgebaut. Gold war bereits allgemein bekannt und als Wertgegenstand akzeptiert. Daher kam Thales auf die Idee, Goldmünzen herstellen zu lassen, die ein genau definiertes Gewicht und Aussehen hatten.
Die Goldmünze war sozusagen die Manifestation des geistigen Einen, das in allen Dingen gleich vorhanden war.
Alle Dinge hatten nicht nur eine sehr unterschiedliche äußere Form und unterschiedliches Gewicht. Aber diese Unterschiedlichkeiten ließen sich vereinheitlichen, indem ihr innerer Wert, ihr Wesen, in Gold einer bestimmten Menge „übersetzt“ wurde. Das Wesen aller Dinge ist das Flüssige, Festes ist verdichtetes Flüssiges. So ist es auch mit dem Gold. Erwärmt man es, wird es flüssig, ist Flüssigkeit wie Wasser. Lediglich die Mengen sind unterschiedlich. Das äquivalente Gewicht einer kleinen Menge flüssigen Goldes ist natürlich eine viel größere Menge flüssigen Wassers. Verdichtetes Wasser (Eis) lässt sich nicht transportieren, da es bei der gegebenen Außentemperatur schmilzt und in wässriger Form vorliegt. Mit Wasser bzw. Eis kann man also schlecht handeln und bezahlen, außerdem liegt es in großen Mengen vor, so dass sich jeder so viel Wassergeld beschaffen könnte, wie er wollte. Es musste also ein Stoff sein, der sehr selten ist, den sich nicht jeder einfach besorgen oder ihn sammeln konnte und der fest sein musste (transportfähig). Das war das Gold, das durch eine Prägung ein bestimmtes unverwechselbares Äußeres bekam. Es war praktisch fälschungssicher. Denn wenn jemand anderes Gold nahm und den Prägestempel fälschte, hatte natürlich auch diese gleich große und gleich schwere Goldmünze den gleichen tatsächlichen Wert wie das Gold aus Lydien. Und wenn Goldmenge und das Gewicht stimmen, ist im Prinzip auch egal, was für ein Prägestempel drauf ist. Unsere Euros haben ja auch verschiedene Prägestempel. Das Problem der Fälschung kommt ja erst mit dem Papiergeld, das an sich nichts wert ist.
Krösus hatte im übrigen die ionische Städte, wie Milet, die eigentlich seinerzeit griechisch waren, besetzt und forderte von den Griechen ein Abgabe für die Erhaltung ihrer Städte, einen Tribut, also eine Steuer. Nach dem 1. und 2. Weltkrieg nannte man das Reparationszahlungen. Und die Zerstörungen durch den Krieg, die repariert werden mussten, mussten schon damals die Verlierer zahlen. Das konnten sie dann in lydischen Goldmünzen tun.
Das übergreifende Eine und die kleinste Einheit
Die Philosophie des Thales, dass alle Dinge ein einheitliches Wesen haben, hatte also auch einen sehr praktischen Nutzen. Sie führte zur Erfindung der Goldmünze als einheitlichem Zahlungsmittel. Die Goldmünze - selbst wenn sie nicht aus reinem Gold, sondern aus einer bestimmten Mischung von Gold und Silber besteht – hat eben einen definierten Warenwert, der gleich ist dem Wert der Ware, gegen die die Münze getauscht wird. Es wurden natürlich verschiedene Größen dieser Münzen hergestellt. Der Tausch Ware gegen Münze und Münze gegen Ware machte im Übrigen auch das Wiegen der Waren überflüssig. Beim Wiegen kann leicht betrogen werden. Münzen müssen nur gezählt werden und beim Abzählen kann nicht betrogen werden.
So bekam die philosophische Idee des Einen, des übergreifenden Prinzips über alle Dinge im Universum, durch Thales auch eine sinnlich erfahrbare und greifbare Dimension. Es gibt seitdem Einheiten, mit denen man rechnen kann und die den Handel beflügelten. Diese Währungseinheiten sind allerdings inzwischen wieder verwässert worden, indem jede Nation ihre eigene Währungseinheit definiert hat. Bis vor nicht allzu langer Zeit mussten die Währungen auch noch in Goldreserven abgesichert sein. Inzwischen wurde das auch abgeschafft. Geld kann inzwischen durch Kreditvergabe aus dem Nichts geschaffen werden, man nennt das Geldschöpfung. Als Zahlungsmittel wird schon lange kaum noch Münzgeld, sondern hauptsächlich Papiergeld verwendet, das praktisch gar keinen Eigenwert hat. Durch die Gesetzgebung bekommt inzwischen auch kein sogenannter Arbeitnehmer erarbeitetes Geld in die Hand, sondern nur noch Zahlen auf sein Gehaltskonto. (Schon die Pythagoräer betrachteten die Zahl als das Wesen der Dinge.) Das bedeutet heute, sein Geld bekommt zunächst nicht der Arbeitsnehmer, sondern die Bank und kann damit arbeiten. Inzwischen gibt es nicht nur Währungen von Ländern, sondern auch sogenannte Kryptowährungen, die lediglich für Spekulanten einen Wert haben.
Die Großtat des Thales, liebe Freundin, existiert jedoch als Idee weiter. Die Frage, ob es das Eine gibt, wird in der Wissenschaft, die ja durch die Philosophie begründet wurde, dahingehend beantwortet, dass es die Energie gibt, deren Menge im Universum unveränderlich, also ewig, ist. Und wir wissen heute, lieber Leser, dass sich Energie nach der Einsteinschen Formel in Masse umwandeln kann. Allerdings gibt es neben der Masse mit ihrer Eigenschaft der Gravitation (Gleiches zieht Gleiches an) auch noch andere Bestandteile der Materie mit gegenteiliger Eigenschaft (Gleiches stößt Gleiches ab, wie bei den elektromagnetischen Kräften). Alle diese Kräfte sind bereits im Atom, der kleinsten Einheit der Materie, vorhanden. Und da stoßen wir auf die nächste philosophische Idee, die relativ kurz nach Thales von Leukipp und Demokrit in die Welt gesetzt wurde. Das ist die Idee, dass die Welt sich aus kleinsten unteilbaren Teilchen, den Atomen, zusammensetzt.
Aber erst einmal muss ich, lieber Leser und liebe Freundin, eine Pause einlegen und gemütlich eine Tasse Kaffee genießen.
Rudi Zimmerman Berlin, den 5.3.2018
1. Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe. Die großen Philosophen in Alltag und Denken. dtv. 1975. 978-3-423-300020-9 |