Heraklit (Ephesos, etwa 520 bis 460 v.Chr.)
und die ersten beiden Hauptsätze der Thermodynamik
von Rudi Zimmerman
Soweit es den von Heraklit überlieferten Bruchstücken seiner Philosophie zu entnehmen ist, besteht das Universum für ihn im Wesen aus einem ewigen Feuer.
Innerhalb dieses Universums gibt es nichts Feststehendes, sondern nur ständigen Wandel ("alles fließt" – panta rhei). Das ewige Werden und Vergehen (der Fluss) erfolgt nach Regeln (Logos), die dem menschlichen Denken prinzipiell erschließbar sind (Erkenntnisfähigkeit, Rationalität = "Seele" bei H.). Durch diesen Logos stellt die Menschheit eine Einheit dar, denn jedes Individuum besitzt logische Denkfähigkeit, die lediglich die Spiegelung des Logos des Universums im Individuum darstellt.
Dies ist nach meinem Verständnis die Kurzfassung des Kerns der Philosophie Heraklits, wie sie mir dankenswerter Weise von Lutz v. Werder vermittelt wurde.
Ich diskutiere hier nicht die verschiedenen Möglichkeiten, Heraklit zu verstehen und zu interpretieren, sondern lege diese meine Interpretation als richtig zugrunde und vergleiche sie mit dem gegenwärtigen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, auf denen meine Philosophie – die Philosophie lebender Systeme – basiert.
Im Ergebnis hat Heraklit nämlich die Ergebnisse unserer westlichen wissenschaftlichen Forschung vorweggenommen – wobei seine Formulierungen natürlich seiner Zeit und seiner Sprache entsprechen. In meiner obigen Darstellung seiner Philosophie habe ich bereits seine Begriffe teilweise durch die modernen Begriffe unseres westlichen Denkens ersetzt. Damit fahre ich fort.
Der Begriff des ewigen Feuers.
Das ewige Feuer Heraklits ist eine anschauliche Formulierung für den Begriff "Energie" der modernen Physik, die um den Jahrhundertwechsel vom 19. zum 20. Jahrhundert entstanden ist (vorher wurden die Begriffe "Kraft" und "Energie" noch synonym verwendet, jedenfalls waren beide Begriffe nicht klar voneinander getrennt). Heraklits Vorstellung von der Ewigkeit dieses Feuers entspricht dem 1. Hauptsatz der Thermodynamik: Die Summe der Energie des Universums ändert sich nicht, sie bleibt ewig gleich. Es verschwindet keine Energie und es kommt keine Energie von außerhalb des Universums hinzu (es gibt nämlich kein außerhalb). Dies ist der Satz von der Erhaltung der Energie (Energieerhaltungssatz).
Nach heutiger wissenschaftlicher Erkenntnis hat diese Energie, als Wärmeenergie betrachtet (in der Disziplin der Thermodynamik), auch eine eindeutige Flussrichtung, die nicht umkehrbar ist: Wärme fließt nur in eine Richtung, nämlich vom Wärmeren zum Kälteren. Damit ist thermodynamisch auch ein Endzustand voraussehbar, nämlich der, bei dem alles im Universum gleich warm ist. Wahrscheinlichkeitstheoretisch (eine andere wissenschaftliche Disziplin, Informationstheorie) ist dies eine Zustand maximaler Unordnung. Das Maß für Unordnung heißt "Entropie". Daher besagt der 2. Hauptsatz der Thermodynamik, dass die Entropie (die Unordnung) im Universum ständig zunimmt.
Diese beiden Naturgesetze hat die Menschheit inzwischen als solche erkannt. Naturgesetze sind völlig unabhängig von menschlicher Kultur, sie gelten universell und ewig. Das Mittel, mit denen sie erkannt werden, ist das logische oder rationale Denken, der Logos.
Von dieser Betrachtung des Universums (des Großen und Größten) wende ich mich nun ab und komme zur Betrachtung von Prozessen, die sich im Bereich unterhalb des mikroskopisch Sichtbaren abspielen, nämlich zu chemischen Prozessen und Vorgängen im subatomaren Bereich.
Das Feuer
Das optisch sichtbare Feuer ist – chemisch betrachtet - lediglich ein Spezialfall der Oxidation. Wenn Papier oder Holz verbrennt (oxidiert), sehen wir Flammen und nennen dieses Phänomen "Feuer", so wie Heraklit es auch schon gesehen hat.
Bei der Oxidation gibt der Stoff (das Atom), der oxidiert, Elektronen ab, wissen wir heute. Oxidation (Elektronenabgabe) eines Stoffes ist, wissen wir weiter, stets mit der Reduktion (Elektronenaufnahme) eines anderen Stoffes verbunden. Es verschwinden keine Elektronen. Sie werden nur von einem Stoff abgegeben (dieser "oxidiert") und von einem anderen Stoff aufgenommen, der dadurch "reduziert" wird (sogenannte Redox-Reaktionen, wie es in der Chemie genannt wird). Wenn ein Stoff "vergeht" (durch Verbrennung), entsteht ein anderer Stoff. Oxidation/Reduktion sind lediglich zwei Seiten eines Vorgangs.
Auch diese Erkenntnis moderner Wissenschaft hat Heraklit offensichtlich vorweggenommen. Dieser sprach von der Einheit der Gegensätze. Reduktion und Oxidation ist ein Beispiel dafür, dass es sich um gegensätzliche Vorgänge handelt, die jedoch eine Einheit darstellen. Die Gegensätze (hier Oxidation und Reduktion) sind identisch. Es handelt sich um einen Vorgang. Aus einer Richtung gesehen handelt es sich um eine Elektronenabgabe (Verbrennung), aus der gegensätzlichen Perspektive um eine Elektronenaufnahme.
Beispiele: Als Oxidationsmittel wird häufig Sauerstoff (Oxygenium) verwendet, daher auch der Name "Oxidation". Der Sauerstoff verbindet sich mit dem Stoff, der "verbrannt" wird zu einem Oxid und nimmt die Elektronen auf (genau genommen werden diese gemeinsam benutzt). Dies geschieht nach "Maß und Zahl". Wenn Eisen oxidiert, verbinden sich beispielsweise 2 Eisenatome und 3 Sauerstoffatome – allerdings entsteht dabei kein Feuer und wir nennen diesen Vorgang "rosten". In den Zellen tierischer Körper, also auch in den menschlichen Zellen, wird ständig Wasserstoff verbrannt, der aus der Nahrung entnommen wird (natürlich auch ohne Flammenbildung). Bei dieser Reaktion verbinden sich immer 2 Wasserstoffatome mit 1 Sauerstoffatom, wodurch Wasser entsteht und zusätzlich Energie freigesetzt wird, die wir zum Ausführen von Bewegungen benötigen.
Die Energie
Der Vollständigkeit halber sei allerdings hier bereits darauf hingewiesen, dass chemische Prozesse nur dann spontan ablaufen, wenn sie gleichzeitig Energie freisetzen. Das wird "Dissipation" genannt. Diese Energie wird nämlich nicht für das Erbringen einer sinnvollen Arbeit genutzt - was in unserem westlichen Leistungsdenken sehr wichtig genommen wird -, sondern sie "verschwindet nutzlos" (sie "dissipiert") – sie erwärmt die Umgebung. Die Summe der Energie (die Energiebilanz) bleibt jedoch auch dabei gleich.
"Energie" (also "Feuer") ist, das ist heute Allgemeinwissen, eine andere Beschreibung dessen, was als Masse betrachtet wird und ist nach der berühmten Einsteinschen Formel (E = m*c2 ) in Masse umrechenbar. Die Wissenschaft unterscheidet verschiedene Formen der Energie, die sich alle ineinander umwandeln lassen, beispielsweise nicht nur Wärmeenergie und chemische Energie, von denen bereits die Rede war, sondern auch Lichtenergie, mechanische Energie (Bewegungsenergie), elektrische Energie, Lageenergie und andere.
Mit diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen könnten Kenner der Heraklitschen Philosophie (als solchen kann ich mich nicht bezeichnen) einmal nachprüfen, ob H. noch weitere Gesichtspunkte moderner Wissenschaft vorweggenommen hat.
Rudi Zimmerman, Webphilosoph, Berlin, den 24.10.2013
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